Von Mainz über Dexheim kam die Musikhalle nach Bechtolsheim
Die Musikhalle in Bechtolsheim hat im wahrsten Sinne des Wortes eine bewegte Vergangenheit. Sie ist weit über 100 Jahre alt und fand erst Mitte der fünfziger Jahre in Bechtolsheim ihren heutigen Platz.
Der ursprüngliche Standort der Halle war wahrscheinlich zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Mainz-Finthen. Dort stand sie 1 930 zum Abbruch, da der damalige Besitzer der Halle in finanzielle Schwierigkeiten geraten war. Über das Reichsvermögensamt konnte der TUS Dexheim am 1 7.8.1 930 für 11 40 Reichsmark die Halle kaufen. Diese musste in den folgenden 1 4 Tagen abgebaut und das Material von Mainz nach Dexheim transportiert werden. Mit Hilfe von Pferdefuhrwerken wurden die Hallenteile buchstäblich angekarrt. Der damalige TUS Vorstand musste eine Menge selbstloser und tatkräftiger Helfer um sich geschart haben, denn Kräne, Laster und ähnliche moderne Hilfsmittel gab es damals nicht vor Ort. In Dexheim wurde die Halle 1 931 als Turnhalle aufgebaut und eingeweiht.
Foto: G.Fillinger
In den folgenden Jahren gelang es dem Turnverein, trotz großer aufgenommener Kreditsumme, durch Veranstaltungen von Festen und Bewirtschaftung der Halle die Finanzen solide zu halten. Im Jahre 1937 wurde der Turnerbetrieb wegen Mangel an aktiven Mitgliedern eingestellt. Die folgenden Jahre erwiesen sich auch aufgrund des Ausbruchs des 2. Weltkrieges für den TUS Dexheim als nicht einfach. Die Schuldenlast, die durch den Aufbau der Halle entstanden war, drückte schwer. 1 940 kam es soweit, dass der Verein die Turnhalle nicht mehr halten konnte und diese in den Besitz von Landwirt Jakob Immel über-
ging.
Der Landwirt nutzte die Räumlichkeiten zunächst als Scheune, zum Unterstellen der landwirtschaftlichen Geräte, Einlagerung von Kartoffeln, Getreide und anderen Naturalien. Im Jahre 1953 arbeitete das Bechtolsheimer Maler- und Verputzerunternehmen Nierstheimer bei Jakob Immel in Dexheim. Hans Nierstheimer erfuhr, dass der Landwirt Immel die Halle günstig verkaufen wollte.
Zum damaligen Zeitpunkt hatten der Gesangverein wie auch der Theater- und Carnevalverein in Bechtolsheim kein eigenes Vereinsheim. Die zum Verkauf stehende Halle sorgte im Ort für reichlich Diskussion. Schließlich erklärte sich der Bahnhofsgastwirt Fritz Held bereit, die Halle zu kaufen und diese als Vereinslokal für die ortsansässigen Vereine zu betreiben. Hierzu wurde ein Grundstück in der Bahnhofstraße an der Selz von Familie Schroth (Eltern von Christa Uhink) gepachtet, um die Halle dort zu errichten.
Selztalhalle nach der Errichtung in den fünfziger Jahren Foto: C. Schweitzer
Die Fundamente der Halle wurden durch ein Sammelsurium von Bruchsteinen und Backsteinen gebildet. Die Holz- und Dachkonstruktion, sowie der Holzboden der Halle wurden wieder aufgebaut und die Fachwerkwände mit Bimssteinen ausgemauert. Die Bühne der Halle blieb in Dexheim. Eine neue Bühne und eine daran angeschlossene Kegelbahn wurden in das wieder errichtete Gebäude integriert. Der Aufbau und Ausbau der Halle dauerte zwei Jahre. Die Einweihung der
Vereinshalle im Frühjahr 1955, u.a. mit der Opel-Werkskapelle aus Rüsselsheim, wurde mit einem Fest begangen, bei dem das ganze Dorf mitfeierte. Die Halle bekam den Namen Selztalhalle.
Selztalhalle bei der Einweihungsfeier 1955 Foto: G. Held
Wenn man das Gebäude betrat, gab es auf der rechten Seite einen großen Ausschankbereich (Theke). Links war das so genannte „Likörbudsche“, eine Räumlichkeit welche einer Bar glich, in der Spirituosen ausgeschenkt wurden. Die Selztalhalle wurde in den ersten Jahren mit einem Sägemehlofen, später mit Ölöfen beheizt, welche an kalten Wintertagen frühzeitig angezündet werden mussten, damit die Halle für die Veranstaltungen ordentlich warm wurde. Einfache Toilettenanlagen,
Plumpsklos und ein Pissoir befanden sich außerhalb der Halle in einem Nebengebäude an der Selz.
Ab sofort konnten die ortsansässigen Vereine die neue Räumlichkeit nutzen. Der Gesangverein hielt Singstunden, Konzerte und Sängertreffen in der Halle ab. Auch der Theater- und Carnevalverein bot Fastnachtssitzungen, Preismasken- und Lumpenbälle sowie Theaterstücke an. Der Schützenverein absolvierte seine Schießübungen in den ersten Jahren darin. Der im Jahre 1 962 gegründete Fanfarenzug hielt fortan seine Musikstunden und musikalischen Veranstaltungen in der Halle ab.
Der Hallenwirt Fritz Held schenkte Mainzer Aktien Bier, hauseigene Weine, Spirituosen und Limonade aus. Da die Selztalhalle nicht mit einer großen Küche ausgestattet war, gab es zu den Getränken meist nur kleinere Speisen. Zu besonderen Anlässen, wie z. B. der Bechtolsheimer Kerb oder bei der großen Treibjagd im Herbst, lud Familie Held zum Essen in die Halle ein. Hierzu wurde in der Gastwirtschaft am Bahnhof gekocht und das warme Essen in die Halle gebracht, was eine logistische Herausforderung darstellte.
Sonntagnachmittags wurde in der Selztalhalle oft die Kegelbahn geöffnet. Viele Bechtolsheimer Bürger trafen sich zum Kegeln und um Neuigkeiten auszutauschen. Die Wirtsleute Held veranstalten auch Sommernachtsfeste in der Selztalhalle, bei denen bis in die frühen Morgenstunden getanzt und gefeiert wurde. Das „rauschendste" Sommernachtsfest fand in den sechziger Jahren statt, bei dem die legendären „Jakob Sisters“ auftraten und ganz Bechtolsheim auf den Beinen war.
Nach der Übergabe von Fritz Held an seinen Sohn Gehard Held wurde die Gaststätte am Bahnhof zu einem Speiselokal ausgebaut. Die von der Familie Held bis zu diesem Zeitpunkt betriebene Selztalhalle wurde 1972 an den Musikzug verkauft, da der Aufwand die Bahnhofswirtschaft und den Ausschank in der Halle zu betreiben nicht mehr leistbar war.
Die Ortsgemeinde Bechtolsheim kaufte hierbei das Hallengrundstück. Die Halle wurde nun zur Musikhalle umbenannt und der Musikzug hatte endlich sein eigenes Vereinsheim.
Seit diesem Zeitpunkt wurden bis heute eine Vielzahl von Bau- und Renovierungsarbeiten an der Halle durchgeführt: In den siebziger Jahren wurde zur Selz hin ein Nebengebäude mit der neuen Toilettenanlage sowie einem Heizungsraum angebaut. Unter der Hallenbühne wurde eine Bar ausgegraben, ausgemauert und betoniert. Der Kellerraum unter dem Ausschankbereich wurde vergrößert. Die Königsbacher Bierbrauerei stattete den Ausschankbereich mit Theke und Zapfanlage aus. Das ehemalige „Likörbudsche“ wurde zu einer Weinstube umgebaut. Die Decke der Halle wurde mit Holz verkleidet und die Kegelbahn wurde zur Vergrößerung der Hallenfläche abgebaut.
Teile der Außenwände wurden saniert und neue Fenster in die Halle eingebaut. Mitte der neunziger Jahre wurde eine neue moderne Edelstahlküche in die ehemalige Weinstube eingebaut, die alte Küche abgerissen und somit der Ausschankbereich vergrößert. Die Elektroinstallation und die Heizungsanlage wurden hierbei erneuert. Weiterhin wurde in diesem Renovierungsabschnitt eine Treppe betoniert, welche in den 1 . Stock zu einem neu ausgebauten Vereinsraum führt. Seit den letzten Jahren wird Bitburger-Bier in der Halle ausgeschenkt.
Der wachsende Bedarf an Lagerplatz wurde durch einen Anbau im Jahre 2005/06 gedeckt. Hierbei wurde ein Stuhllager auf der linken Hallenseite in Eigenleistung erstellt. Im Jahre 201 0 wurde die Toilettenanlage komplett neu gestaltet und in 2011 der komplette Eingangsbereich neu gefliest.
Nur Idealismus und Kameradschaft sowie Einsatzbereitschaft vieler Vereinsmitglieder ermöglichten es, in den zurückliegenden vierzig Jahren sämtliche Renovierungsarbeiten an der Halle in unzähligen Helferstunden durchzuführen. Besonders zu erwähnen sind hierbei die Vereinsmitglieder Heinrich Schmidt und Rainer Duckgeischel, die maßgeblich in den letzten Jahrzehnten an den Umbaumaßnahmen beteiligt waren. Auch in Zukunft sind an der Halle noch zahlreiche Renovierungsmaßnahmen wie z.B. die Erneuerung des Hallendaches durchzuführen.
In der Musikhalle ist fast jeden Tag was los. Neben der wöchentlichen Musikstunde am Donnerstag führte der Musikzug schon eine Vielzahl von Veranstaltungen durch: Jahreskonzerte, Musikantentreffen, Oktoberfeste, Tanzmusik, Discos und vieles mehr. Auch verschiedene ortsansässige Vereine nehmen die Räumlichkeiten in Anspruch. Der Theater- und Carnevalverein führte bis vor 1 0 Jahren seine Faschings- und Theaterveranstaltungen durch, der Landfrauenverein veranstaltet seine Fastnachtsitzung und das Männerballett-Tanzturnier und auch der Heimatverein sowie der Freizeitsportverein nutzen die Räumlichkeiten für ihre Veranstaltungen. Ebenfalls können auch Nichtmitglieder die Musikhalle mieten. Bei einer Kapazität von über 200 Plätzen in der Halle und rund 30 im kleineren Vereinsraum sind größere Feste, Tagungen, Versammlungen, als auch Feiern im kleineren Rahmen gut möglich.
Steffen Beiser *
* Mein besonderer Dank gilt an dieser Stelle dem Heimatverein, insbe-
sondere Gerhard Fillinger, der zahlreiche Schriftstücke und Bilder zur
Verfügung stellte.